Schulbank gegen Theaterticket.

Freitag früh, der 04. März 2016, ein ganz normaler Schultag. Wir setzten uns nur nicht auf Schulstühle, sondern saßen 7.26 Uhr im Zug von Crailsheim in Richtung Magdeburg. Dort hieß die erste Mission Stadt erkunden, dabei stießen wir auch auf das Hundertwasserhaus „Grüne Zitadelle“. Dieses beeindruckte durch ungerade Linien, frohe Farben und einem verspielten Stil. Es war definitiv ungewöhnlich.

Am Abend ging es voller Vorfreude weiter ins Schauspielhaus Magdeburg zum Stück ,,Der Nazi & der Friseur“ von Edgar Hilsenrath. Erzählt wird die ungewöhnliche Geschichte von SS-Mann und Massenmörder Max Schulz, der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die Identität Itzig Finkelstein – eines jüdischen Freundes aus Kindertagen – annimmt und nach Palästina emigriert. Er gibt sich als Opfer des NS-Regimes aus, um seiner Verurteilung vor dem Kriegsgericht zu entgehen.

Mit wenig Vorahnung nahmen wir unsere Plätze ein. Was folgte war eine beeindruckende Aufführung und die Faszination der Kunst der Schauspieler. Das Stück war sehr intensiv und wahrlich, es wurde kein Blatt vor den Mund genommen. Wir waren schockiert, fasziniert, begeistert, nachdenklich über die Wucht der Darstellungen, die Kraft der Worte und insbesondere der Schlusssatz des Massenmörders blieb uns bis heute im Gedächtnis:

,,Ich will eine Strafe, die meine Opfer zufrieden stellt!’“

Eigentlich haben wir Theater neu erlebt, weil wir häufig Unterrichtsinhalte wieder fanden und das Handwerkzeug der Schauspieler viel klarer erkannten. Die Schauspieler schlüpften in wechselnde sehr unterschiedliche Charaktere, wobei jeder seine Eigenheit hatte und alle klar voneinander abgegrenzt werden konnten.
Bei einer folgenden Nachbesprechung ließen wir unseren Abend im Hostel enden. Es war gut, sich das komplette Stück nochmal vor Augen zu führen, da jeder auf andere Dinge geachtet hatte, was das Gespräch sehr ergiebig machte.
Völlig erschöpft legten wir uns nieder, bis es am nächsten Tag hieß:

Bettenwechsel, auf nach Halle!

Früh packten wir unsere Koffer um mit dem Zug zur nächsten Destination zu fahren. Noch deutlicher als in Magdeburg bemerkten wir in Halle Unterschiede im Dialekt, der Architektur. Viele Ziegelbauten, manche Bauruine sowie zahlreiche Häuser, die renoviert werden. Sogar ein Ampelmännchen regulierte den Verkehr. Es war spürbar anders als bei uns.
Nachdem auch hier die Stadt von uns unter die Lupe genommen wurde, machten wir uns mit hohen Erwartungen vom gestrigen Tage auf den Weg Richtung neues Theater. Das Stück hier ,,Schuld und Sühne’“ von Fjodor Dostojewski.
Es erzählt von dem hochintelligenten, bettelarmen Student Rodian Raskolnikow, welcher eine Theorie entwickelte, die es außergewöhnlichen Menschen erlaubt moralische Grenzen zu überschreiten. Als Überprüfung ermordet er zwei Schwestern. Anstatt Genugtuung zu verspüren, droht er jedoch an seiner Schuld zu ersticken.

Während ,,Der Nazi und der Friseur’“ ein einfach zu verfolgendes Stück war, sahen wir uns in der Pause alle mit ratlosen Gesichtern an. Niemand hatte den Inhalt wirklich verstanden bzw. konnte die Wahnvorstellungen des Rodian vom normalen Geschehen unterscheiden. Deswegen erst mal Durchatmen, darüber nachdenken was geschehen war und die einzelnen Teilstücke zusammentragen, so dass jeder von uns am Anfang von Hälfte Zwei ein ungefähres Bild hatte, um was es überhaupt ging. Danach war es wesentlich leichter dem Geschehen zu folgen.
Dadurch hatten wir die Chance den Fokus mehr auf Handwerkszeug, wie Laufwege, Darstellung und Requisiten zu legen. Besonders beeindruckte uns der Übergang der einzelnen Szenen, welcher mithilfe von einem Stillstehen bzw. ,,Freeze’“ direkt danach und erst mit einem Abgang in der übernächsten Szene flüssiger wurde. Selbst hierbei war jeder Charakter deutlich zu erkennen.
Ansonsten machte sich der extrem geringe Einsatz von Requisiten bemerkbar. Zwar war mal ab und zu eine Tasse oder eine Axt zu erkennen, große Möbel fehlten jedoch. Trotzdem hatten wir durch Laufwege und dem Spiel mit der Bühne immer ein deutliches Raumbild vor Augen.
Auch in der zweiten Aufführung sahen wir, wie wenig es beim Theater auf Requisiten ankommt. Viel wesentlicher die Mimik, Gestik und das Wirkenlassen des Textes. Es bestätigte sich für uns der Satz: Weniger ist mehr!

Im Vergleich zu dem Stück in Magdeburg war es in Halle durch die Wahnvorstellungen des Protagonisten wesentlich verwirrender und abstrakter, dafür jedoch mit einfachen theaterästhetischen Mitteln gefüllt. Im Vergleich blieb uns beim ersten Stück die Handlung im Kopf und obwohl beide von der Art sehr unterschiedlich waren, drehten sich doch beide um das Thema Schuld, insbesondere von einem Menschen, der einen oder tausende Menschen umgebracht hat.

Mit diesen Eindrücken verließen wir am nächsten Tag Sachsen-Anhalt und kehrten mit vielen, neuen Erfahrungen ins Crailsheimische zurück.

Theater
macht
hungrig!